Recherche-Journalismus & Photographie

 

 Werkstatt-Recherche mit Journalistik-StudentInnen 2014

 

"Wenig Interesse"

an Menschenrechten


In Deutschland gilt der Primat der Politik; auch bei Rüstungsexporten. Die Praxis der Waffenlieferungen  zeigt: Die Geschäfte geraten immer wieder ins
Spannungsfeld zwischen Politik und Wirtschaft.

 

Von Markus Wolf (© September 2014)


Bahrain, 2011: Tausende von Menschen versammeln sich auf dem Perlenplatz, um für  demokratische Mitbestimmung zu demonstrieren. Es ist der arabische Frühling. Despot für Despot, Regime für Regime knickt unter dem Druck der demokratischen Massen ein. Auch Bahrain? Am 15. März 2011 stellt sich diese Frage nicht mehr. Saudische Panzer rollen in der Hauptstadt Manama ein, räumen den Perlenplatz und beenden die demokratische Revolution in dem kleinen Golfstaat. Wenn Saudi-Arabien künftig vor seiner Haustür oder im eigenen Wohnzimmer aufräumt, dann sind es nicht mehr nur saudische Panzer, die gegen Demonstranten vorgehen. Es sind saudische Panzer aus deutscher Produktion. Viel Kritik hagelte es bereits zur Lieferung der 270 Panzer des Typs Leopard II aus der Fertigung des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei-Wegmann (KMW). Saudi- Arabien ist kein demokratischer Staat und, was Menschenrechte angeht, nun nicht gerade Vorreiter.


Nicht umsonst gelten bei Rüstungsexporten strenge Regeln. Zumindest auf dem Papier. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU sieht vor, dass die Exportländer die „Haltung des Empfängerlandes zu den einschlägigen Grundsätzen der internationalen Menschenrechtsübereinkünfte“ bewerten. In den Grundsätzen der Bundesregierung für den „Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ heißt es zudem, dass bei Exporten der Beachtung der Menschenrechte „besonderes Gewicht beigemessen“ wird.

Vom östlich gelegenen Saudi-Arabien zum westlich gelegenen Algerien. Auch der nordafrikanische Staat erhält Rüstungsgüter aus deutscher Produktion: Transportpanzer des Typs Fuchs II aus der Waffenschmiede Rheinmetall sowie Grenzschutzanlagen von EADS und Fregatten von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Um die Menschenrechtssituation im Empfängerland zu bewerten, greift die Bundesregierung auf die Berichte internationaler Gremien und Menschenrechtsorganisationen zurück. Für Algerien stellen jedoch die Expertisen aller einschlägigen Organisationen – von der EU, den Vereinten Nationen sowie Amnesty International und Human Rights Watch – übereinstimmend erhebliche Mängel im Bezug auf Menschenrechte fest. Im Jahr 2013 stellten Abgeordnete der Fraktion Die Linke die Anfrage an die Bundesregierung, ob die Achtung der Menschenrechte in Algerien gewahrt sei. Darauf antwortete die Bundesregierung lediglich, dass es „in jüngerer Zeit Verbesserungen im Menschenrechtsbereich“ gegeben hätte. Zudem wird auf den zehnten Menschenrechtsbericht der Bundesregierung verwiesen. Dort werden aber erhebliche Defizite bei der algerischen Menschenrechtslage festgestellt: Unter anderem würde Homosexualität „mit Gefängnis- und Geldstrafe geahndet“ und ein neues Mediengesetz „schränkt die journalistische Tätigkeit (…) weiterhin ein.“


Was also ist der Grund, dass ein Staat wie Algerien Rüstungsgüter aus deutscher Produktion erhält? Aus der Anfrage der Linken geht hervor, dass vor allem die Bekämpfung des Terrorismus sowie der Schutz der Grenzen ausschlaggebend für die Exporte seien. Laut der Aussage eines Unionsmitglieds des Verteidigungsausschusses, scheinen noch andere Gründe eine Rolle zu spielen: „Die Regierung (…) vermittelt natürlich auch Kontakte zu Wirtschaftsunternehmen“, sagt ein Abgeordnete des Verteidigungsausschusses, der ungenannt bleiben will.

Im Juni 2008 reist Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Staatsbesuch nach Algerien. Begleitet wird sie von einer großen Wirtschaftsdelegation. Darunter auch die Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall und ThyssenKrupp, wie das Bundespresseamt auf Anfrage erklärt. Eine der mehr als 250.000 US-Botschaftsdepeschen, die die Enthüllungsplattform wikileaks 2010 veröffentlicht hatte, zeigt, um was es bei dem Staatsbesuch womöglich wirklich ging.

 

 

In dem – als vertraulich gekennzeichneten und bis dato unbekannten  – Dokument geben US-Diplomaten Gespräche mit ihren deutschen Kollegen wieder und berichten der US-Regierung über das Verhalten der Kanzlerin. Diese habe, so  wörtlich, „wenig Interesse“ gehabt, „politische und soziale Themen“ bezüglich  Menschenrechte und Religionsfreiheit anzusprechen. Stellung nehmen möchte das  Kanzleramt dazu nicht. Dokumente Dritter würden "nicht kommentiert" und Gespräche der Kanzlerin "sind vertraulich", sagt ein Regierungssprecher.

Was stattdessen von Interesse beim Staatsbesuch gewesen sei, wird ebenfalls in dem Dokument genannt. Bernd Pfaffenbach – damals Staatssekretär für die Kontrolle von Rüstungsexporten im Wirtschaftsministerium – traf sich unter vier Augen mit dem algerischen Verteidigungsminister. Das Thema: „militärische Kooperationsprojekte“.


Zwei Jahre später besucht der algerische Präsident Bouteflika Bundeskanzlerin Merkel in Berlin. Beim Mittagessen im Kanzleramt werden die deutsch-algerischen Beziehungen besprochen. Auch die wirtschaftlichen. Themen seien unter anderem Rohstofferschließung und erneuerbare Energien gewesen, verkünden Kanzlerin Merkel und Präsident Bouteflika bei der anschließenden Pressekonferenz. Kein Wort zu möglichen Rüstungsgeschäften. Erst eine Anfrage der Linken zu  Kontakten zwischen Bundesregierung und Rüstungsindustrie  zeigt: Die Vertreter der  großen deutschen Rüstungskonzerne Rheinmetall, EADS und TKMS saßen mit dem  algerischen Präsidenten und der Kanzlerin am Mittagstisch.


Zudem wird bei dem Staatsbesuch die sogenannte „deutsch-algerische gemischte Wirtschschaftskommission“ (GWK) ins Leben gerufen. Nach Angaben des  Bundeswirtschaftsministeriums, setzt sich die Kommission aus „Vertretern der  Regierungsbehörden und aus Vertretern der Wirtschaft aus beiden Ländern“  zusammen. In der Vereinbarung über die GWK werden Ziele wie „Wissen- und  Technologietransfer“, „Stärkung der wirtschaftlichen Handelsbeziehungen“ und  „Abstimmung bei Fragen in Bezug auf die gemeinschaftlichen Außenbeziehungen“.

Die Ziele sind allgemein formuliert. Was macht die GWK genau? Geheim. Wer sitzt in der GWK? Geheim. Eigentlich. Die Anfrage über Kontakte zur Rüstungsindustrie zeigt: Rheinmetall, EADS und TKMS waren bei mindestens zwei der vier Treffen anwesend. Warum so viel Geheimniskrämerei um die Rüstungsgeschäfte betrieben wird, weiß  das Mitglied des Verteidigungsausschusses: „Man will ja nicht, dass jeder weiß, was man an Gütern beschafft oder was man plant, zu beschaffen“, sagt er. Das sei „natürlich“ auch eine „Wettbewerbsfrage.“

Kontakte zwischen Vertretern der Wirtschaft und der Politik sind in einer marktwirtschaftlichen Demokratie normal und notwendig. Aber ab wann werden aus Kontakten Netzwerke? Ab wann aus Netzwerken Interessenskonflikte? Ab wann ist der Primat der Politik bedroht? 2011 genehmigt der Bundessicherheitsrat die ersten  Rüstungsexporte nach Algerien. Weitere folgen 2012 und 2013. In dem kleinen,    geheim tagenden Gremium entscheidet auch Dirk Niebel mit: ehemals Entwicklungshilfeminister, ab Januar 2015 Cheflobbyist bei Rheinmetall. Ein  Interessenskonflikt? Dirk Niebel bittet auf Anfrage hin „um Verständnis“, dass er auch weiterhin kein Interview dazu geben möchte.

 

 

 

 

 

 

über den Autor:

Markus Wolf, geboren 1990, kam über Praktika in einer PR-Agentur und bei zwei Lokalzeitungen zum Journalismus. Seit 2011 studiert er Politik und Gesellschaft, seit 2012 Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt.

 

kontakt: markus.wolf2 (att) aol.de

 

 

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