Recherche-Journalismus & Photographie

 

Werkstatt Recherche mit Journalistik-StudentInnen 2014

Rüstungsexporte für ein

"staatliches Gewaltmonopol"


Im Koalitionsvertrag wurden unterschiedliche Auffassungen noch notdürftig überdeckt, jetzt eskaliert der Streit um deutsche Rüstungsexporte. Sigmar Gabriel will den Handel mit militärischer Rüstung eindämmen – und erhitzt so die Gemüter. Durch interessengesteuerte Netzwerke wird die Debatte mitgeprägt.

 

Von Jan Zimmermann (© September 2014)


Wieder einmal steht Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im nächsten Koalitionsstreit. „Ohne Konzeption und klaren Kompass“ sei der Kurs von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Dessen Frontalangriff gegen Rüstungsexporte hat einen Koalitionsstreit mit gewaltiger Sprengkraft zur Folge. Gabriel und die SPD gegen Horst Seehofer. Letzterer fürchtet jetzt Auftragsrückgänge, Exportstopps und Arbeitsplatzverluste.

Was dem CSU-Vorsitzenden Anlass zur Sorge bereitet, ist Gabriels Ankündigung, Deutschlands Waffengeschäfte zurückfahren zu wollen. Vor allem Exporte in Länder außerhalb von EU und NATO sollen eingeschränkt werden. In genau diese Länder wurde 2013 noch Rüstung für rund 3,6 Milliarden Euro exportiert. So viel wie nie zuvor. Das geht aus dem Rüstungsexportbericht 2013 der Bundesregierung hervor. Horst Seehofer bringt das ins Schwitzen. Kein Bundesland produziert mit so vielen Betrieben Rüstungsgüter für den Export wie Bayern. Von heute auf morgen sieht der bayerische Ministerpräsident viele der 30.000 Arbeitsplätze in der bayerischen Rüstungsindustrie in Gefahr. Mit ihnen wackeln auch Seehofers wirtschaftliche Interessen. Auch deshalb sperrt er sich gegen Gabriels Pläne und schlägt sich auf die Seite von Gewerkschaftern, Betriebsräten und Rüstungsunternehmen.

Die begrüßen Seehofers Unterstützung. Rüstungskonzern Airbus hat bereits Stellenstreichungen in deutschen Werken angekündigt, sollte die Koalition Ernst machen. Das bestätigt auch CSU-Politiker Florian Hahn. Allein in seinem Wahlkreis München Land seien zahlreiche Airbus-Arbeitsplätze in Gefahr. Hahn fühlt sich dieser Industrie schon länger verbunden. Bis 2002 war er selbst in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann tätig. Noch heute bestehen Kontakte zur Rüstungsindustrie. Hahn ist Aufsichtsrat der Industrieanlagen Betriebsgesellschaft (IABG), Partner des „Blauen Bundes“, der mit diversen Rüstungsgrößen vernetzt ist. Außerdem sitzt er im Verteidigungsausschuss und ist Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT). Die DWT sieht ihre Aufgabe „in einer differenzierenden Vermittlung sicherheits- und verteidigungspolitischer Sachverhalte“, steht aber in der Kritik, der Rüstungsindustrie nahe zu stehen. Im „Berliner Gespräch“ mit dem Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartete die DWT von der Politik eine "Türöffner-Funktion" für Unternehmen bei Exportgeschäften.

Dass Hahn sich von seiner Mitgliedschaft bei der DWT beeinflussen lässt, bestreitet er. Der Dialog sei „eine wichtige Grundlage“ seiner politischen Arbeit. Fakt ist aber: Auch Hahn setzt sich vehement für die Rüstungsindustrie ein. Mit mehreren Unions-Abgeordneten hat er einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben, um sich über mögliche Arbeitsplatzverluste in der Rüstungsindustrie zu beschweren. Demnach sieht die Union deutschlandweit rund 200.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Zulieferbetriebe inklusive. Zum Teil seien sogar ganze Unternehmen existenzgefährdet.

 

 Die SPD verweist hingegen gerne auf den Koalitionsvertrag, der auf die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" aus dem Jahr 2000 Bezug nimmt. „Die Bundesregierung wird sich an den dort festgestellten Prinzipien orientieren“, sagt SPD-Außenpolitiker und –Fraktionsvize Rolf Mützenich. Die in den vergangenen Jahren ausgeübte Politik habe sich als „unverantwortlich“ erwiesen. Rüstungsgüter seien mit Wirtschaftsgütern nicht gleichzusetzen. Ethische und außenpolitische Interessen müssten in ein verantwortbares Maß gebracht werden.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Katja Keul, forderte daher im Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich mehr Transparenz. Geht es nach ihr, sollte die Bundesregierung grundsätzlich immer angeben müssen, was aus welchen Gründen genehmigt wird. Bisher besteht diese Pflicht nicht „Wir glauben, wenn die Bundesregierung Auslieferungen rechtfertigen müsste, dann würde sie im ein oder anderen Fall anders entscheiden.“ Transparenz sei in diesem Fall kein Selbstzweck, sondern ein Schritt in eine restriktivere Genehmigungspraxis. Ein Regelausnahmeverhältnis, nach dem Kriegswaffen in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO nur in Ausnahmefällen zu genehmigen sind, gebe es bereits. Dieses Ausnahmeverhältnis rechtfertigt auch Gabriels Kursänderung. Wirtschaftliche Interessen dürfen demnach keine Rolle spielen.

Setzt Gabriel den Plan einer restriktiveren Rüstungspolitik durch, folgt er den Grundsätzen der Bundesregierung, die in den Vorjahren nachweislich zu selten beachtet wurden. Exporte im Wert von über 5,8 Milliarden Euro hat die Bundesregierung im Jahr 2013 genehmigt. Das sind 1,14 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. 62 Prozent davon entfielen auf Länder außerhalb von EU und NATO. Gründe dafür sind, wie die Bundesregierung selbst zugibt, "umfangreiche Exporte nach Algerien, Katar, Saudi-Arabien und Indonesien" (Rüstungsexportbericht 2013, S. 8). Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen und Repressionen keine Seltenheit sind. Allein nach Indonesien wurden für 295 Millionen Euro Kampf- und Schützenpanzer und Unterwasserortungsgeräte exportiert. Auch die Zahl der Einzelgenehmigungen für Exporte in Entwicklungsländer stieg im Vergleich zu 2012 um 2,6 Prozent auf 9,6 Prozent an. Der Wert der erteilten Sammelausfuhrgenehmigungen im Rahmen wehrtechnischer Kooperation zwischen EU- und NATO-Partnern ist dagegen von 4,172 Milliarden auf rund 2,5 Milliarden Euro zusammengeschrumpft.

Zahlen, die zeigen, dass sich das Regelausnahmeverhältnis umgedreht hat. Ein Trend, den es nach Ansicht von SPD und Grünen zu stoppen gilt. Rüstungslobbyist Henning Otte sieht trotzdem in vielen Fällen eine Notwendigkeit, Rüstung zu exportieren. Otte ist Verteidigungspolitischer Sprecher der Union und Vizepräsident der DWT und dadurch ebenfalls eng mit der Rüstungsindustrie vernetzt. Durch Rüstung müsse in vielen Fällen ein "staatliches Gewaltmonopol geschaffen" werden, um „die Stabilisierung des Landes zu ermöglichen.“ Exporte würden bereits jetzt restriktiv ausgelegt, es gebe keinen Grund für eine noch restriktivere Exportpolitik. 

Zahlen aus dem Rüstungsexportbericht zeigen anderes: Im Berichtsjahr 2013 wurden lediglich 71 Anträge im Wert von gerademal 10 Millionen Euro abgelehnt. Gegenüber 2012 ist dieser Wert um 47 Aufträge und über 14 Millionen Euro gesunken. Zahlen, die beweisen, dass in der Vergangenheit gelegentlich beide Augen zugedrückt worden sind, wenn es um große Aufträge gegangen ist. Das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) listet Deutschland auf Platz drei der weltweit größten Kriegswaffenexporteure. Von dieser Art der Politik will sich Gabriel jetzt abwenden.

Unterstützung erfährt er dabei auch von der Linkspartei. Rüstungsexperte Jan van Aken (LINKE) kritisierte in einer Presseerklärung, Rüstungsexporte würden „in Deutschland nur verwaltet, aber nicht kontrolliert“. So werde „immer hemmungsloser auch noch der letzte Diktator mit deutschen Waffen“ beliefert. Neben Gabriels restriktiver Exportpolitik spricht er sich sogar für ein generelles Exportverbot für Kleinwaffen aus. Weltweit fordern Kleinwaffen die meisten Todesopfer in Konflikten. Auf die deutsche Volkswirtschaft haben sie aber kaum einen messbaren Effekt haben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts machen Kleinwaffen weniger als 0,001% des Gesamtwerts aller deutschen Exporte aus.

Einigkeit herrscht nur bei der Frage nach der Notwendigkeit der Rüstungsindustrie. „Wir müssen ja auch ausgestattet werden“, sagt Keul. Sie fordert einen runden Tisch, an dem europäische Regierungen gemeinsam über die Rüstungsindustrie nachdenken. Auch Henning Otte befürwortet „aus Gründen der eigenen Sicherheit eine einheimischen Industrie“. Auch in allen anderen Punkten muss eine Einigung erzielt werden. Sigmar Gabriel hatte Rüstungsexporte unlängst zum „Thema für die ganze Koalition“ erklärt.

 

 

 

 

über den Autor:

Jan Zimmermann, geboren 1993, kam durch ein Praktikum bei Sat.1 live zum Journalismus und studiert seit 2013 Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt


kontakt:

jan.hendrik.zimmermann (att) gmx.de

 

 

 

 

<<< zurück zur Themenseite


<<< zurück zur Titelseite

Top | Copyright: edition-zeitlupe / bei Namens-Artikeln und Fotos der genannte Autor