Recherche-Journalismus & Photographie

 

Aktualisiert 23. September 2012

Atommüll:
"Mission impossible"

Die Situation im Einsturz gefährdeten Atommülllager Asse wird immer bedrohlicher. 126.000 Fässer radioaktiver Abfälle der 1960er Jahre sollen aus dem alten Salzbergwerk wieder geborgen werden. Der Vorsitzende der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer, erklärte jetzt gegenüber der Frankfurter Rundschau, die Rückholung "entwickelt sich immer mehr zur Mission impossible". Statt der Rückholung schlug er vor, Abdichtungen vor die Atommüllkammern zu bauen und Hohlräume mit Feststoff zu verfüllen, um den Einsturz zu verhindern.

 

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Die Hintergründe des Skandals

Fässer ohne Boden

 

von Meinrad Heck (Oktober 2011)

 

Das Atommülllager Asse in Niedersachsen bleibt ein Risiko. 126 000 Fässer mit radioaktiven Abfällen können jetzt doch nicht so einfach aus dem einsturzgefährdeten Berg geborgen werden wie erhofft. Die Hälfte des Materials aus den 60er- und 70er-Jahren stammt aus Karlsruhe. Im Badischen aber wurde geschlampt und getrickst. Keiner weiß, was wirklich in den Fässern steckt.

 

 

 

Das Bundesumweltministerium gab Ende September 2011 Alarm. Seitdem wissen Parlamentarier, dass sich die Causa Asse mit dem dort abgekippten Atommüll nicht so einfach wird lösen lassen wie gedacht. Vergangenes Jahr hatte eine Expertengruppe mehrere Szenarien durchgespielt. Dabei stellte sie fest, der sicherste Weg, das einsturzgefährdete Atommülllager in den Griff zu bekommen, sei, alle 126 000 Fässer Atomschrott wieder aus mehreren hundert Meter Tiefe herauszuholen. Jetzt wissen die Parlamentarier, dass das vermutlich nicht funktioniert.

Der Grund liegt weit in der Vergangenheit und darf vor allem in Baden-Württemberg gesucht werden. Laut Bundesumweltministerium "bestehen Unsicherheiten, ob das Radionuklid- und Stoffinventar der eingelagerten Abfälle seinerzeit korrekt angegeben wurde". Der weitaus größte Teil stammt aus dem früheren Kernforschungszentrum Karlsruhe, als dort noch an der Wiederaufarbeitung von Brennelementen geforscht und gearbeitet wurde. Seinerzeit in den 60er- und 70er-Jahren standen die badischen Forscher unter Druck. Was heute "unsicher" ist, hart dort seine Ursachen.

Die Abfall-Zwischenlager im Karlsruher Norden waren in den 1960er-Jahren voll, da kam dieses stillgelegte niedersächsische Salzbergwerk Asse gerade recht. Einer kritischen Öffentlichkeit waren damals die Pläne, in der Asse schwach- und mittelaktiven Atommüll einzulagern, im Dezember 1964 offiziell als "Forschungsarbeiten über die Endbeseitigung" verkauft worden, sodass man hätte meinen können, diese Geschichte sei nur vorübergehend und vor allem ergebnisoffen. Tatsächlich sprach die badische Atomlobby in Karlsruhe-Leopoldshafen Monate zuvor schon unter Ausschluss der Öffentlichkeit intern längst von der "Errichtung eines Endlagers" für ihre Abfälle.

Ein solches Endlager war seinerzeit dringend nötig. Konzerne bauten neue Kernkraftwerke, und als einziger Entsorgungsnachweis für ihren künftigen Atommüll diente in den Genehmigungsunterlagen jenes zum Forschungsvorhaben schöngeredete Salzbergwerk Asse.

Asse-Betreiber warnten vor Massenlieferungen aus Karlsruhe

Alte Unterlagen belegen, wie sehr die badische Atomlobby geschlampt und getrickst hatte. Schon 1965 war etwa den Betreibern des sogenannten Forschungsvorhabens, der damaligen Münchner Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), laut einem internen Vermerk klar, dass die Karlsruher Lobby mit ihrer "Versuchseinlagerung" ziemlich wenig am Hut hatte. Der GSF war klar, dass es den Karlsruhern viel eher "um die Aufnahme eines erheblichen Teils der radioaktiven Rückstände" ging, weil dieser Abfall im badischen Kernforschungszentrum seinerzeit eben aus Platzgründen "nicht mehr gelagert werden kann". Vergeblich warnte die GSF vor einer "Massenanlieferung" aus Karlsruhe und den damit verbundenen "politischen Auswirkungen".

Die befürchtete Massenanlieferung sollte Wirklichkeit werden. Ein Großteil der 126 000 Fässer, die Hälfte aus dem Badischen, wurde zwischen 1968 und 1978 in den alten Salzstock gekarrt, in alten Abbaukammern eingelagert oder einfach nur "im freien Fall" abgekippt.

Wenn das Bundesumweltministerium heute die Parlamentarier darauf aufmerksam macht, dass keiner exakt weiß, was in den Fässer wirklich verpackt worden war, dann geht auch diese ministeriale Einschätzung auf alte Unterlagen zurück. Vor allem Baden-Württemberg kommt dabei nicht gut weg. Von 1968 an häuften sich die Klagen. Mal waren die Fässer aus Karlsruhe nicht ordentlich verpackt, mal wurde eine "Überschreitung der Dosisleistung" festgestellt. In den Folgejahren liefen seitens der Asse im Badischen Dutzende von Beschwerden ein, dass "häufig die angegebenen Dosisleistungen nicht annähernd mit den tatsächlichen Dosisleistungen übereinstimmen" oder dass Transportbehälter der Bundesbahn "kontaminiert" waren. Und schließlich hatte sich wegen der Karlsruher Schlampereien Asse-intern laut einer Aktennotiz "unser Erster Strahlenschutzverantwortlicher bitter beklagt, dass die Ablieferungsbedingungen von (Karlsruher, d. Red) Mitarbeitern auch nicht im Entferntesten eingehalten werden".

Bergung der alten Fässer ist wieder völlig offen

Damals war weitergewurschtelt worden. Heute wird genau das zum Problem. Durch den alten Salzabbau ist das niedersächsische Bergwerk durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Geologen können eine Standfestigkeit nur noch bis zum Jahr 2020 garantieren. Danach droht das Bergwerk einzustürzen und den Atommüll für alle Zeiten zu begraben. Frühere Behauptungen, der Berg sei trocken, für alle Zeiten ein "sicherer Tresor" wegen der Abschirmung durch das Salz, sind Makulatur. Heute dringen täglich 12 000 Liter Wasser in das Bergwerk ein. Es könnte "absaufen", wie es im Fachjargon heißt. Salz löst sich in Wasser auf, und damit wäre auch der Schutzschild, der sogenannte sichere Tresor, verschwunden.

Viele Experten haben deshalb als einzig sichere Alternative die vollständige Räumung des alten Salzstocks empfohlen. Jedes einzelne der 126 000 Fässer muss wieder herausgeholt werden. Das schien vernünftig und von jedermann gewollt. Aber weil niemand den wirklichen Inhalt der Fässer kennt, hat das Bundesumweltministerium jetzt Ende September wegen dieser "nicht unerheblichen Unsicherheiten" beschlossen, "zurzeit keine endgültige Entscheidung für die Stilllegung der Asse zu treffen". Was mit der geplanten Rückholung als dem einzig sicheren Weg geklärt schien, ist jetzt wieder völlig offen. Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz erklärte vergangene Woche, in zehn Jahren werde diese Rückholung nicht zu machen sein. Von 2020 an ist das Bergwerk aber akut einsturzgefährdet.

Während Niedersachsen mit dem zum großen Teil in Baden-Württemberg verursachten Problem kämpfen muss, haben badische Atomlobbyisten längst eine neue Baustelle eröffnet. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ein Zusammenschluss von Universität und (Ex-Kern-)Forschungszentrum Karlsruhe, forscht mit Millionenspritzen aus der Industrie trotz Atomausstieg an Kernreaktoren der vierten Generation. Mit diesen schnelleren Reaktoren soll die sogenannte Transmutation möglich werden. Transmutation ist die Umwandlung langlebiger Spaltprodukte mit einer Halbwertszeit von über einer Million Jahre in kurzlebigere von noch 500 Jahren.

Endlager oder nur "Kurzzeit-Endlager"?

Das passt zu erst wenige Monate alten Überlegungen, bei der Endlagerung künftig nicht mehr nur den Standort Gorleben zu untersuchen, sondern das Augenmerk republikweit auf sogenannte Kurzzeit-Endlager zu legen. Schon vor seiner Wahl hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen allgemein gehaltenen Vorstoß zu einer bundesweiten Standortuntersuchung gemacht und dabei Baden-Württemberg ausdrücklich nicht ausgenommen.

Jetzt stellen Baden-Württembergs Grüne den Landesumweltminister, und der hat vor wenigen Tagen mit einem "Eckpunktepapier zur Endlagerung" nachgelegt. Minister Franz Untersteller will die Entsorgungsfrage "streitfrei" und ausdrücklich unter öffentliche Beobachtung stellen. Wie Kretschmann will Untersteller republikweit nach neuen Endlagerstandorten suchen, auch in Baden-Württemberg und ausdrücklich nicht nur – wie bisher – in Salzformationen wie Gorleben oder Asse, sondern auch in tiefem Tongestein.

Ein solches Tongestein gibt es in der Region Oberschwaben. Ob diese ein solcher Endlagerstandort sein könnte, oder nicht, "kann man zum gegenwärtigen Zeiotpunkt nicht sagen", erklärte ein Sprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums auf Anfrage. Der Stuttgarter Vorstoß zielt jedoch ausdrücklich auf ein sogenanntes nachsorgefreies Endlager. Die Möglichkeit, den radioaktiven Müll aus einem solchen Standort wieder herauszuholen, falls in ferner Zukunft neue Technologien zur Verfügung stünden, lehnt Untersteller ab.

Verkürzung der Halbwertszeit ist vermutlich hochriskant

Wissenschaftler dagegen suchen vor allem Standorte, in denen hochradioaktiver Müll  für nur noch wenige hundert Jahren gelagert werden sollte – in der Hoffnung, dass sich im Lauf dieser Jahre neue und womöglich bessere Technologien anbieten. Eine dieser Möglichkeiten, so der Geologe Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie, könnte jene Transmutation sein, die wiederum am Standort Karlsruhe längst erforscht wird. Transmutation ist allerdings ein vermutlich hochriskantes Verfahren und würde – sollte es je funktionieren – nicht nur der Umwandlung von langen in kurze Halbwertszeiten dienen, sondern auch der Energiegewinnung. Das wiederum weckt Begehrlichkeiten in der Industrie. Ein neuer Ausstieg aus dem Ausstieg?

Gerade dieses Forschungsvorhaben wurde einer breiten Öffentlichkeit erst nach dem Bauantrag des in Karlsruhe beheimateten Europäischen Instituts für Transurane richtig bekannt (Der strahlende Nachbar). Dieses Institut hat Genehmigungsanträge für den jährlichen Umgang mit bis zu 185 Kilogramm Plutonium gestellt. Öffentlich bekannt waren dessen Wissenschaftler bis dato als die sogenannten Atomdetektive, die mit ihren ausgeklügelten Methoden auf der Spur von Nukleardieben sind. Dass sie seit Längerem auch an jener Transmutation sowie an Kernreaktoren der vierten Generation forschen und dafür einen Neubau beantragt haben, hat Nachbargemeinden auf die Barrikaden gebracht.

Das baden-württembergische Umweltministerium hat nun ein Mediationsverfahren angestoßen, um Fakten auf den Tisch zu bekommen und Emotionen abzubauen. Das Verfahren läuft seit mehreren Wochen und hat zumindest eine Annäherung der Standpunkte gebracht.

 

 

 

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