Fragmente klischeehafter Weltbilder in der Auslandsberichterstattung. Montage: Maria J. Birkmeir
Auslandsberichterstattung unter der Lupe:
Krieg, Katastrophe und ein Hauch Exotik
Von Maria J. Birkmeir
„Only bad news are good news“– der alte Spruch, dass sich Nachrichten umso besser verkaufen, desto schrecklicher sie sind, ist ebenso zynisch wie wahr. Insbesondere in der Auslandsberichterstattung ist die allgemeine Tendenz wahrnehmbar, dass es vor allem Kriege, Krisen und Terror sind, die es in die deutschsprachigen Tageszeitungen und Fernsehnachrichten schaffen. Unsere Autorin untersucht die Zusammenhänge.
Der österreichische Medienwissenschaftler Kurt Luger ging schon in den 90er Jahren davon aus, dass das Bild der damals noch sogenannten „Dritten Welt“ in den westlichen Medien „aus einer Mischung von viel Krieg und Katastrophen, etwas Mitleid, einem Schuss Exotik und wenig Hintergrundinformationen“ besteht. Eine Einschätzung, die offenbar noch immer, oder heute sogar noch stärker zutrifft als früher. Petra Sorges Artikel mit dem sprechenden Titel „Afrikaberichterstattung: Ein bisschen Bumm, irgendwas mit Terror“ (Cicero, 2014) sei hier nur als ein Beispiel genannt.
Die Macht der Nachrichtenagenturen
Ich habe mich bereits in meiner Bachelorarbeit mit der deutschsprachigen Auslandsberichterstattung über Mexiko beschäftigt und dabei festgestellt, dass es weniger am mangelnden Engagement oder Hintergrundwissen der KorrespondentInnen liegt, dass die Mainstream-Berichterstattung ein so einseitiges Bild über dieses Land zeichnet. Vielmehr sind es verschiedene Mechanismen des Medienmarktes, auf dem journalistische Produkte nun einmal in erster Linie guten Absatz finden müssen – ohne dass dabei viel Rücksicht auf eine differenzierte und facettenreiche Darstellung des „Fremden“ genommen wird.
Diese Probleme betreffen natürlich nicht nur die Darstellung Mexikos in den deutschsprachigen Medien, sondern lassen sich auch auf die Berichterstattung über andere Länder und Regionen übertragen, die im globalen Machtgefüge keine zentrale Rolle spielen.
So gibt es seit Jahren bei Medienunternehmen den Trend, nicht mehr eigene Korrespondenten im Ausland zu unterhalten, sondern aus Kostengründen hauptsächlich auf Agenturmaterial zurückzugreifen und bestenfalls gelegentlich Beiträge von freien Berichterstattenden einzukaufen. Dies führt dazu, dass dpa, afp oder Reuters starken Einfluss auf die Themensetzung haben – und die freiberuflichen Journalisten sich an den wenigen großen Nachrichtenagenturen orientieren müssen. Das wiederum bewirkt, dass aus vielen Ländern und Regionen ständig über dieselben Themen berichtet wird (Drogenkrieg in Mexiko, Kinderarbeit in Indien, Krieg und Hungersnot in Afrika) und so bestehende Klischees verfestigt werden.
Keine Eskalation, kein Interesse
Hinzu kommt, dass der Platz für Auslandsberichterstattung in den deutschen Medien schwindet. So bleiben den Berichterstattenden nicht genug Sendezeit oder Zeilen, um ausführlicher auf die Hintergründe eingehen zu können. Ereignisse wie das „plötzliche“ Auftauchen der IS-Kämpfer, die Entführung von über 200 Mädchen durch Boko Haram in Nigeria oder das Verschwinden der 43 Studenten in Ayotzinapa sind das Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse. KorrespondentInnen beobachten diese oft über Jahre hinweg ohne darüber ausführlicher berichten zu können – erst wenn die Lage eskaliert und es zu einem „nachrichtlich relevanten“ Ereignis samt spektakulärem Bildmaterial kommt, werden die großen Medien in Deutschland aufmerksam.
Diese und einige weitere Umstände führen dazu, dass in der deutschsprachigen Berichterstattung einzelne Länder und ganze Kontinente fast völlig verschwinden und nur dann kurz in Erscheinung treten, wenn sie als exotische Kulisse oder Schauplatz für Schrecken interessant werden.
Interkulturelle Berichterstattung – ein alternatives Konzept
Im Rahmen eines studentischen Forschungsprojektes habe ich deshalb versucht, mit einem alternativen Ansatz zu experimentieren. Anstatt Interviewpartner zu finden, die zu bereits vorselektierten und aufgrund ökonomischer Überlegungen als „relevant“ eingestuften Themen nur noch den O-Ton beitragen, bin ich den umgekehrten Weg gegangen.
Ich habe in der Industriestadt León in Zentralmexiko mit verschiedenen Menschen über ihr Leben, ihre Interessen, Ängste und Zukunftsperspektiven gesprochen und mich dabei bemüht, die Haltung einer Ethnologin einzunehmen. Erst im zweiten Schritt habe ich versucht, aus diesen teilweise mehrstündigen Interviews Themen herauszuarbeiten, die tatsächlich für die Betroffenen wichtig sind und daraus journalistische Texte zu erarbeiten. Diese Methode stellt einen Versuch dar, Wege zu einer partizipativen, emisch (also „aus der Innensicht“) beschreibenden Auslandsberichterstattung zu finden, die ökonomischen Maßstäben standhalten kann ohne Agenda-Setting aus der üblichen, ethnozentristischen Perspektive zu betreiben.
Hier geht´s zu den in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Ergebnissen:
>>> zum Interview "Wenn ich keine Kinder hätte, würde ich rebellieren
>>> Eine Wunde, die niemals heilt
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