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Nachflug über Afrika: Aus einer Reportage des Jahres 2000, die heute unverändert aktuell ist.                                                                                                     Foto: Meinrad Heck

 

 

 

Fliegen über Afrika:

Am Himmel ist die Hölle los


Von Meinrad Heck (März 2000)


Fliegen über Afrika ist seit Jahren ein mitunter gefährliches Abenteuer. Mangels Radar gibt es über weiten Teilen des Kontinents keine ausreichende Luftraumüberwachung. Eine Reportage aus dem Jahr 2000, die wegen der im wesentlichen unveränderten Zustände noch heute so aktuell ist wie damals.

 

Stockdunkle Nacht über Zentralafrika. Eine Gewitterfront steht über dem Kongo, leichte Turbulenzen schütteln den Passagierjet der Swissair auf dem Flug von Zürich ins südafrikanische Johannesburg und der fahlgelbe Klecks auf der Cockpitscheibe fällt den Piloten seit einigen Minuten schon auf. „Das ist kein Stern“, sagt der Kapitän, „das ist ein Flieger“. Der Jet ist auf Gegenkurs, den Regeln zufolge müsste er mindestens 700 Meter Höhenabstand haben aber sicherheitshalber kippt die Swissair-Crew 12500 Meter über Afrika einen Schalter um und gibt mit ihren Landescheinwerfern eine Art Lichthupe. Und schon blitzen auch die Lichter der entgegenkommenden Maschine auf. „Er hat uns gesehen“, sagt der Copilot. 

Im Luftraum zwischen Tunesien und Zimbabwe fliegen die Piloten rund sechs Flugstunden auf Sicht und mangels Radarüberwachung damit quasi blind. Erst in Südafrika erreicht die Luftraumüberwachung wieder europäisches Sicherheitsniveau. Jahr für Jahr mahnte die International Federation of Airline Pilots Associaion (IFALPA) "kritische Defizite" über Afrika an. Schon 1996 erklärte deren Technischer Direktor Peter Quaintmere, es sei "reines Glück", wenn folgenschwere Zusammenstösse verhindert worden seien. Die Kommunikation Boden-Luft sei "unzureichend", Funkgeräte in "schlechter Qualität", Fluglotsen wären – wenn es sie überhaupt gibt – nur "lückenhaft" ausgebildet, Radargeräte so gut wie nicht vorhanden. Nach dem Ende der Apartheid in Südafrika vervielfachten sich die Passagierzahlen ans Kap, und seitdem wiederholen sich die jährlichen Warnungen der Experten.. Eine IFALPA-Statistik besagt, dass über Afrika 14,93 von einer Million Passagieren bei Kollisionen ums Leben kommen, in Lateinamerika sind es 9,42, in der ehemaligen Sowjetunion 2,33.

Gefährliche Annäherungen

Dutzende "gefährliche Annäherungen" listet die Pilotenorganisation pro Jahr in diesem „schwarzen Loch“ am Himmel über Afrika auf. Über Ndjamena, der Hauptstadt des Tschad, konnte eine Boeing 747 der South African Airways gerade noch einer Tupolev der Chad Airlines ausweichen, Piloten beobachteten auf Reiseflughöhe, wie die zwei entgegenkommenden Jets im Abstand von 30 Metern aneinander vorbeirasten. Nahe Harare in Zimbabwe wurde in letzter Minute ein Zusammenstoss eines SAA-Jets mit einer vollbesetzten 747 der australischen Quantas verhindert. Vermutlich, sagt der Sprecher der deutschen Pilotenvereinigung Georg Fongern, passiere noch weit mehr. Denn von über 50 Airlines, die jede Nacht auf den Nord-Südrouten fliegen, haben ganze sieben auf Bitten der IFALPA reagiert und der Organisation entsprechende Zwischenfälle berichtet. Andere Fluggesellschaften fürchten bei Bekanntwerden der Fast-Zusammenstösse Imageverluste. 

 Dem Nord- und Südverkehr sind unterschiedliche Flugflächen mit jenen 700 Metern Höhenabstand zugewiesen. Aber auch diese Korridore muss ein Jet zwangsläufig kreuzen, wenn er in Zentralafrika startet oder landet. Üblich wäre die Freigabe durch einen Lotsen am Boden, den aber gibt es nicht überall oder er lässt sich per Funk nicht erreichen. Besagte Swissair-Crew versuchte über dem Tschad minutenlang eine Freigabe für den Steigflug auf 39000 Fuss zu erhalten. Die Bodenstation in der Hauptstadt Ndjamena reagierte einfach nicht. Erst kurz bevor ihr Jet den Luftraum des Tschad verliess, krächzte eine Stimme aus dem Kopfhörer: Der Sprecher forderte die Flugkennung der Maschine – nicht für die gewünschte Freigabe, sondern für die spätere Abrechnung der Überfluggebühren. "So geht das fast auf jedem Flug", klagt der Kapitän.

120 Millionen US Dollar blättern die Airlines afrikanischen Staaten jährlich für die Überflugrechte auf den Tisch. Jahrelang forderten sie von ihnen, diese Summen auch für den Ausbau der Flugsicherheit zu verwenden, was sich die Regierungen mit Hinweis auf ihre Souveränität bis heute verbieten. 

Zur Not hilft das Telefon

Bei derlei Defiziten greifen Cockpitbesatzungen in die Trickkiste. Sie haben Telefonlisten der wenigen in jenem schwarzen Loch existierendene Bodenstationen - im Sudan, Tschad, Kongo oder Kenia - dabei und greifen in der Not schon mal zum Hörer des Satellitentelefons, um "die da unten aufzuwecken". Vor allem aber kommunizieren Piloten untereinander und teilen sich gegenseitig anhand metergenau arbeitender Satellitennavigationsgeräte ihre jeweilige Position mit. Die Funkfrequenz, die für diese so genannte In-Flight Broadcast Procedure (IFBP) von Flugzeug zu Flugzeug freigehalten wird, ist wegen des dramatisch gestiegenen Verkehrs aber oftmals so überlastet, dass eine Verständigung unmöglich wird. Und nicht jeder hält sich an die Kommunikations-Empfehlung. Tim Würfel, Lufthansa Cargo-Pilot über Afrika hat auf seinen Routen schon "urplötzlich Flieger gesehen, die da laut Funkverkehr gar nicht hätten sein dürfen".

 Also stricken sich manche Besatzungen über Afrika ihr eigenes Sicherheitsnetz. Regel Nummer eins: "Augen auf und den Verkehr beobachten". Auf Afrika-Routen seien "die Sinne erheblich geschärfter", erklärt Tim Würfel. Der Verkehr kanalisiert sich auf wenigen Luftstrassen - im Osten über Lusaka oder im Westen über Kinshasa. Und deshalb fliegen die Crews gerne sicherheitshalber "offset" – zwei bis drei Meilen neben der vorgeschriebenen Route.

Operation "Hadsch"

Gefürchtet ist eine jeweils im Frühjahr und Herbst laufende "Operation Hadsch". Dann fliegen Tausende moslemischer Pilger zu den heiligen Stätten nach Saudi Arabien und kreuzen den Verkehr über Nord- und Zentralafrika unkontrolliert von West nach Ost. Zwar gibt es auch hier vorgeschriebene Höhenstaffellungen mit theoretisch ausreichendem Sicherheitsabstand – wenn sich die Piloten daran halten. Mangels eigener Kapazitäten chartern die Pilger gern billige Flieger aus den GUS-Staaten. Deren Piloten, beschreibt Cockpit-Sprecher Fongern ein weiteres Sicherheitsrisiko, beherrschen im Funkverkehr oft nur ein "rudimentäres Englisch".

Zentralafrika zu überfliegen ist ein Abenteuer, "richtig schlimm wird´s erst, wenn wir dort runter müssen", sagt Fongern. Beispiel Lagos, die Hauptstadt Nigerias. Ein Lotse ist für Start, Landung und Überflug zuständig und deshalb "völlig überlastet". Die Sicherheitslage am Boden ist katastrophal, mangels Zaun kann jeder auf das Gelände und die Runway. Anflugbefeuerungen funktionieren oft nicht, weil die Lampen "defekt oder geklaut" sind, ob Navigationshilfen oder das Instrumentenlandesystem ILS gerade in Betrieb sind, wissen die Piloten erst im Endanflug.

Öffentliche Empörung über die Zustände am afrikanischen Himmel wurde – kurzzeitig – laut, als am 13. September 1997 vor der Küste Namibias eine deutsche Bundeswehr-Tupolev mit einem C 141-Starlifter der US-Armee in grosser Höhe kollidierte und keiner der 21 Soldaten an Bord die Katastrophe überlebte. Die Ursache: fehlende Luftraumüberwachung und schlecht koordinierte Flugpläne. Fortan machte ein Zauberwort als angebliche Lösung der Missstände die Runde: Das Antikollisionssystem TCAS (Traffic Collision Avoidance System). Piloten halten TCAS für ein "nützliches Sicherheitsnetz", aber "kein Allheilmittel". Das System erkennt Kollisionskonflikte auf 40 Meilen Entfernung, kommuniziert mit dem entgegenkommenden Flugzeug und leitet automatisch koordinierte Ausweichmanöver ein. Voraussetzung: Jede Maschine muss damit ausgerüstet sein, aber viele veraltete Jets aus den GUS- oder zentralafrikanischen Staaten lassen sich aus technischen Gründen nicht nachrüsten.

Beim Sicherheitsstandard mancher Flugzeuge stehen bisweilen auch dem Bodenpersonal die Haare zu Berge. Im südafrikanischen Johannesburg wurde eine betagte Boeing 707 einer nordafrikanischen Airline wegen hahnebüchender technischer Mängel aus dem Verkehr gezogen. Ein Teil des Flügels, entsetzten sich Beobachter, war lose und nur notdürftig befestigt - die Reparaturcrew im Herkunftsland hatte eine Landeklappe mit einem Gepäckgurt festgezurrt und die Maschine auf die Reise geschickt. In einem anderen Fall nahmen südafrikanische Behörden wegen schwerer technischer Mängel eine russische Antonov aus Swaziland aus dem Register. Wenige Tage später flog die Maschine wieder – mit einer neuen Zulassung aus Liberia.


 

 

 

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